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Recherche | Diskurs | Prototyping

Post Pandemic Social Object Kit

Unterstützt durch das Creatives for Vienna-Programm der Wirtschaftsagentur Wien geht das Konnektom anhand diskursiver Objekte Fragen zur postpandemischen sozialen Interaktion nach. Zentrale Themen der Recherche sind Zufälligkeit, Nähe und Verbundenheit.

Beobachtungen zu den Auswirkungen der covid19-Pandemie auf kreative Prozesse und soziale Interaktion

Die covid19-Krise geht mit grundlegenden sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen einher. Prozesse, die bereits zuvor latent vorangeschritten waren, werden durch die plötzlichen und massiven Maßnahmen in erster Linie beschleunigt. Das Spektrum der gewählten staatlichen Maßnahmen und gesellschaftlichen sowie privaten Reaktionen darauf ist dem mindset vor der Krise geschuldet.

Das Sicherheitsbewusstsein der westlichen Gesellschaften steigt immer weiter. Die Vermeidung möglicher Risiken prägt das Design von Produkten bis hin zu persönlichen Entscheidungen. Sollten Autos im golden age der individuellen Motorisierung Status und Sportlichkeit ausdrücken, sind ökologische und Sicherheitsaspekte mittlerweile vordergründig in den Fokus der Konsument*innen geraten. Badiou argumentiert in „Lob der Liebe“, dass der moderne risikoaverse Mensch selbst bei der Partnerwahl nichts dem Zufall überlassen will, um mögliche Zurückweisung, soziale Bruchstellen und unangenehme emotionale Überraschungen so weit wie möglich auszuschließen. Das erklärt in seinen Augen den Erfolg diverser Plattformen zur Partnersuche, deren Algorithmen nach größtmöglicher sozio-ökonomischer Übereinstimmung „matchen“. Studien zum sozialen Status von Ehepartner*innen im Laufe der Zeit unterstützen diese Beobachtung, plakativ zusammengefasst heiratet der Arzt nicht mehr die Krankenschwester, sondern die Ärztin. (DIE ZEIT | 2014/13) Die soziale Durchlässigkeit nimmt ab.

Ein weiterer Aspekt dieses Sicherheitsbewusstseins ist der größtmögliche Ausschluss von Zufällen in unserem Alltag. Apps navigieren uns auf dem schnellsten Weg durch die urbane Umwelt. Der durch die Empfehlung von Algorithmen geglättete online-Einkauf endet mit bereits bekannten oder sehr ähnlichen Produkten. Online versorgen uns Algorithmen mit Nachrichten und Informationen, die unsere Meinungen weiter verstärken. Anstelle ausgewogener und differenzierter Berichterstattung errichten diese Mechanismen je individualisierte Echokammern. Selbst an den Universitäten wird vor Inhalten, die den Überzeugungen der Hörer*innen widerstreben könnten, per trigger warnings gewarnt. Zufälligkeit ist ein Schlüssel für kreative Prozesse, sei es im angewandten wirtschaftlichen Sinn oder im künstlerischen. In einer Verballhornung Schopenhauers könnte eine Warnung diesbezüglich lauten: Der Mensch kann zwar tun was er will, aber er kann nicht wollen was er nicht zufällig kennen lernt. Das Streamlining unseres Alltags sowie vieler Arbeitsprozesse, das natürlich auch viele positive Effekte im Sinne der Spezialisierung und Effizienz hat, verringert das Potenzial für Serendipität.

Physical distancing als Maßnahme zur Verlangsamung der Ausbreitung von covid19 führte in der Praxis jedoch auch schnell zu social distancing. Zwar hielten und halten die Menschen in Selbstisolation und home office Kontakt zu ihrer Familie, dem engen Freundeskreis und unmittelbaren Kolleg*innen, die zufälligen Begegnungen mit Nachbarn, Passagieren in öffentlichen Verkehrsmitteln und in vielen anderen Situationen werden soweit möglich vermieden. Per Videokonferenz, live stream und anderen medialen Kanälen wird versucht auch Kultur- und Informationsveranstaltungen zu substituieren. Dabei gehen jedoch maßgebliche Kommunikationsebenen verloren, der Videostream eines Vortrags kennt nur die Richtung vom Vortragenden zum vorm Bildschirm isolierten Publikum. Eine Konferenz erzeugt nicht nur wie jeder anderer performative Akt eine Feedbackschlaufe zwischen Sprechendem und Publikum wie sie von Fischer-Lichte beschrieben wird, sondern nonlinearen Informationsaustausch. Nach Vorträgen, in den Pausen und im möglicherweise anschließenden Rahmenprogramm werden die Hörer*innen zu Sprechern, formen spontan Gesprächsrunden um diese zugunsten neuer Konstellationen im Networking wieder zu verlassen. Die zufälligen Begegnungen, im besten Fall zwischen Akteuren*innen aus unterschiedlichen Disziplinen oder Branchen, können digital jedoch nicht so leicht repliziert werden. Hier treffen sich oftmals Menschen, die in projektbezogenen Arbeitsprozessen einander nie begegnet wären, deren Skills, Ressourcen und Expertisen aber dennoch oder gerade deshalb zu neuen Ideen oder Projekten führen. Die körperliche Präsenz, der räumliche Kontext, persönliche Sympathien bis hin zur Akustik oder eben auch die Kulinarik sind maßgebliche Aspekte dieser Begegnungen.

David Hume argumentierte in An Enquiry Concerning Human Understanding, “dass der Mensch nichts wissen kann, was ihm nicht durch seine Sinnesorgane zukommt, und sich nichts vorstellen kann als neue Verbindungen aus dem Material, das seine Eindrücke ihm geliefert haben“ (Zusammenfassung von Philip Blom aus „Böse Philosophen“, Seite 186). Daraus ergaben sich nicht nur für den philosophischen Diskurs größte Verwerfungen, da ebendieser evidenzbasierte Empirismus nicht nur theologische und damit hegemoniale Dogmen gänzlich in Frage stellte und das Erforschen der Natur und Realität wie wir sie heute kennen erstmals auf ein methodisches Fundament stellte.
Doch auch heute sind seine Erkenntnisse ergiebig. Kreativität, zu einer Schlüsselqualifikation der heutigen Arbeitswelt avanciert, ist ein wichtiger Aspekt der Wissensproduktion. Wie der Empiriker in den angewandten Wissenschaften kann auch der kreative Mensch nicht ohne neue Eindrücke, Erkenntnisse Neues aus inhaltlichem Vakuum generieren. Seit jeher bedienen sich Künstler kreativer Strategien, um der Vorstellungskraft Impulse zu geben. Von Leonardo da Vinci ist sinngemäß überliefert, dass der kreative Geist durch konzentriertes Studium von Gesteinsstrukturen wahre Schlachten erblicken könne. Die Surrealisten behalfen sich mit cadavre exquis und gestalterischen Zufallstechniken wie der Frottage. Picasso suchte Inspiration in den Bild- und Formwelten archaischer Kulturen. Allen gemein ist, dass Inspiration aus den Fundstücken ergebnisoffener Suchen gezogen wird. Der kreative Chairos kann nicht gejagt werden, wem er sich zufällig zeigt, muss ihn aber schnell erkennen und am Schopf ergreifen. Damit ist der Zufall, der durch die Maßnahmen gegen covid19 noch weiter aus unserem Alltag und Berufsleben verdrängt wurde, ein essenzieller Aspekt kreativen Schaffens.

Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und damit einhergehende Selbstisolation hat trotz neuer Medien vielen Menschen mit Einsamkeit konfrontiert. Die Anonymisierung durch Masken und daraus resultierende emotionale Distanzierung verstärken diese allgemeine Wahrnehmung der Isolation. Das postpandemic social object kit soll auch dazu beitragen die Notwendigkeiten des pandemischen Alltags (Masken und sonstige Schutzmaßnahmen) um eine positive emotionale Komponente zu ergänzen, tools zu entwickeln, die Nähe, Empathie und Vertrauen unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Sicherheit wieder herstellen.

Gehörlose Menschen ergänzen ihr kommunikatives Repertoire im Austausch mit nicht der Gebärdensprache mächtigen oft durch Lippenlesen. Dieser Kommunikationskanal ist durch das Tragen von Mundschutz verhindert.

Produktion / Supply Chains

Hochkomplexe Produkte bedürfen hochspezialiserter Hersteller, nicht verwunderlich dass zeitgemäße Produktionsketten international verlaufen. Dieses erfolgreiche Produktionsprinzip wurde jedoch nicht nur auf Elektronikprodukte, Autos und andere komplexe Güter angewandt, sondern befördert durch einen massiven Rückgang an Transportkosten und Handelsbeschränkungen auch auf einfach zu produzierende Verbrauchsprodukte. Der international zeitverzögerte shutdown ganzer Länder und Regionen hat ebendiese Interdependenzen in der Produktion offengelegt. Selbst einfache Produkte, insbesondere Schutzkleidung und -masken konnten regional in Europa on demand nicht ausreichend produziert und distribuiert werden. Gleichzeitig haben opensource Initiativen aber auch gezeigt wie etwa Gesichtsschilde schnell, einfach und genau dort wo sie gebraucht werden, produziert werden können.

Auch wenn additive Druckverfahren noch überwiegend Plastik als Ausgangsstoff nutzen, besteht ein massiver ökologischer Vorteil in der Vermeidung von langen möglicherweise gar weltumspannenden Transportwegen.

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